Ulla Lohmann: maintenant ou jamais

maintenant ou jamais

Neue Lackfolienbilder von Ilka Vogler

Gedanken von Ulla Lohmann zur Ausstellungseröffnung im Allgemeinen Krankenhaus Altona

Die Einladung, eine Ausstellung mit Werken von Ilka Vogler hier im AK Altona eröffnen zu können, habe ich sehr gerne angenommen. Natürlich sind die Gründe dafür naheliegend. Einerseits ist es der besondere, ungewöhnliche Ort für eine derartige Schau und andererseits die außerordentliche Qualität der künstlerischen Arbeiten, die mich vor allem motiviert haben.

Das Foyer, die Cafeteria eines Großklinikums bekommen plötzlich eine zusätzliche, weitergehende Bedeutung. Sie werden als Raum für die Präsentation aktueller Kunst genutzt, eine Idee, die zunächst irritieren mag, vielleicht sogar befremdet. Hierher in den Eingangs-, Durchgangs- und kurzzeitigen Aufenthaltsbereich dieses Hauses begibt man sich üblicherweise nicht, um zeitgenössische Bilder anzuschauen. Die Menschen kommen nicht freiwillig und sie kommen nur in ganz besonderen Ausnahmen, nämlich wenn Freunde, Verwandte oder sie selbst sehr krank sind. Sie haben dann ihre vertraute Umgebung verlassen, ihr Zuhause, den Arbeitsplatz, den Stadtteil, die Familie, Orte an denen man sich wohl fühlt, die man zumindest gut kennt. Personen, die man schätzt und einschätzen kann werden ausgetauscht durch eine fremde, verunsichernde Situation, gerade so, als ob die tiefe Sorge um die Gesundheit nicht schon genug Belastung wäre. Welche Rolle soll oder kann da ein Bild oder eine Skulptur überhaupt noch spielen? Kommt denn einem Kunstwerk in einem solchen Ausnahmezustand tatsächlich noch irgendeine Bedeutung zu?

Ilka Vogler hat die Räume mit ihren Lackfolienbildern ausgestattet, plakativ, phantasievoll, bunt, rätselhaft verschlüsselt, melancholisch und fröhlich. Oft wirken die Arbeiten wie überdimensionierte, flüchtige Zeichnungen, dann wieder kommen sie ganz malerisch, mit kräftigem Farbauftrag daher. Die Farben sind klar, die Raumaufteilung ist großzügig, auch bei den kleinen Formaten. Zeichnerische und malerische Ansätze werden nicht immer vollständig ausgeführt. Bisweilen wird die Farbe mehrschichtig und kompakt verwendet, so dass die Bildoberfläche in einem reliefartigen Charakter erscheint. Mit diesen Strukturen werden gelegentlich die Grenzen des Objektes berührt und eine skulpturale Qualität der Malerei angedeutet.

Die Lackfarben stammen aus dem Heimwerker- oder Maler- und Anstreicherbedarf. Die Folien, eigentlich für die Verwendung als Tischdecken vorgesehen, gibt es im Kaufhaus. Seit mehr als zehn Jahren beschäftigen Ilka Vogler die Materialität dieses industriellen Produkts und dessen künstlerische Einsatzmöglichkeiten, denn die Lackfolien spielen eine ganz eigenständige Rolle in den Arbeiten. Der Untergrund oder Bildhintergrund bleibt vielfach unbearbeitet. Dessen Farbe, Glanz und Reflektionen müssen aber in das Gesamtwerk integriert werden.

Da sind auf weinrotem Fonds arabische Arabesken und buddhistischer Lotus. Die Anregung und Assoziation hierzu entstanden durch einen Farbholzschnitt aus dem 12. Jahrhundert. Auf hellgrüner Folie präsentiert sich großformatiger Rittersporn. Das ornamentale Blumenmotiv vor rosa Hintergrund mit blauen Zweigen und Blüten von Phantasiepflanzen in verschiedenen rosa und rot Schattierungen verweist auf den persischen Dichter Hafez. Der Kollege aus dem 14. Jahrhundert wurde von Nitzsche und Goethe gleichermaßen verehrt und hat diesen zu seinem Gedichtszyklus “Westöstlicher Divan” angeregt.

Die Bergmotive in unterschiedlichen Formaten auf hellblauer Folie stellen eine ganz besondere Bildreihe der Künstlerin dar. Nur monochrom glänzender Himmel, Eis und Schnee, Gletscher und Felsen, ohne Vegetation und ohne Menschen, zeigen sie eine vollkommen phantastische, surreale Landschaft. Friedrich Nitzsche und die alpine Region Sils Maria haben hier wohl ihre Hand im Spiel. Den Piz Palü im Oberengadin mit seinen besonders stark herausgearbeiteten Graten und Tälern verbindet die Künstlerin mit dem emotional dramatischen Film von Leni Riefenstahl, “die Weiße Hölle am Piz Palü”.

Ilka Vogler, die zunächst in Hamburg und Paris deutsche und französische Literatur studierte und erst Ende der achtziger Jahre an die Hochschule für bildende Künste kam, liebt die Sprache ebenso wie die Kunst. Gern verknüpft sie bildhaftes mit Ornamentik und mit Worten. Form, Bild und Text vernetzt sie zu einem nicht mehr trennbaren Konstrukt.

“non sapere” steht über einer angedeuteten Berglandschaft. Was weiß man von diesen Felsen, was weiß man von der Natur dort draußen? Ist nicht trotz der täglichen Vervielfachung unseres Wissens das “nicht wissen” immer noch unendlich viel größer. Wir haben doch nur eine vage Ahnung von der Entstehung der Welt, von ihrem wirklichen Zustand und von dem sie umgebenden unendlichen Kosmos. Ilka Vogler betreibt hier nicht etwa Wissens- oder gar Wissenschaftskritik, ebensowenig wie sie mit ihrer Kunst Bilder oder womöglich Abbilder schaffen will. Die Werke der Künstlerin sind vielmehr kondensierte, sichtbar gewordene Bruchstücke von Gedanken. Das rudimentär malerische tritt in ihren Bildern als gleichberechtigtes Zeichen neben das Wort und das Ornament. Da ist zum Beispiel der Schriftzug “warum Florida”. Ohne Fragezeichen verschwindet das “warum” fast vollständig hinter dem kräftigen Farbauftrag der Sehnsuchtsformel “Florida”. Palmen, Strand, Häuser, Phantasiefiguren, Wörter. Hält die Realität dem Traumbild stand, oder ist der Traum bereits von der Wirklichkeit eingeholt?

Ferne Orte und Reisen sind ein wichtiger Teil Lebenserfahrung für die Künstlerin. Und sie ist viel auf Reisen. Erst kürzlich war sie wieder unterwegs zu einem neuen Gartenprojekt nach Dessau, zur Buchmesse nach Frankfurt, zur Freundin nach Amsterdam und immer wieder mal nach Paris. Reisen, Literatur, Bilder, Fotografien, Stilleben, Skizzenbücher und Assoziationen bilden den reichhaltigen Fundus ihres künstlerischen Werks. Zunächst ausgebildet in klassischer Malerei, sprengte sie diesen, wie sie sagt, zeitweilig zu eng, zu einfach, zu eindimensional empfundenen Rahmen und wandte sich der Wand- und Raummalerei zu. Auch da waren schon die Sprache, waren schon die Wörter im Gepäck. Aus Wörtern schuf sie Ornamente, Texte wurden als malerisches Mittel eingesetzt. In dieser Zeit entstanden diverse Raum- und Fensterinstallationen. Zu Ilka Voglers Repertoire gehören aber auch die sogenannten cut-outs und vor allem die Fotografie als weiteres künstlerisches Medium. Inzwischen nutzt sie die verschiedenen kreativen Möglichkeiten nebeneinander. Die Lackfolienbilder gibt es seit 1991 und es entstehen immer mal wieder Neue.

Mit diesen Bildern greift Ilka Vogler in die Kunstgeschichte der ersten Hälfte des 20igsten Jahrhunderts zurück. Nahe bei Henri Matisse ist sie mit ihrer klaren Farbigkeit und der fast auf das zeichnerische reduzierten Malerei. Die Schriftfragmente hingegen verweisen auf René Magritte. Matisse hat in der Reduktion auf das Wesentlichste, das Nötigste, das Wesen eines Menschen oder einer Situation zu erfassen und darzustellen gesucht. Magritte hingegen, der mit minuziösester Genauigkeit malte, hat mit seinen Worten im Bild klargestellt, dass es eine “Wirklichkeit der Bilder” nicht geben kann und die Bedeutung der Worte lediglich eine Frage von Vereinbarung ist. Über diese Ansätze geht die Künstlerin hinaus. Sie verschränkt Text und Bild miteinander und schafft so eine neue, andere Ebene der Wahrnehmung und der Wirklichkeit. Die Betrachter transferiert sie damit auf eine erweiterte, übergeordnete Dimension der Auseinandersetzung.

So etwas wie ein Markenzeichen, ein Logo der Künstlerin ist die Insel. Ganze Wände, Räume, Treppenhäuser hat sie ihre Insel überziehen lassen. Eine schnelle, spontane Pinselzeichnung mit roter Farbe, ein Oval, daraus zwei senkrechte, schräg nach außen gebogene Linien, an deren Ende ein Paar unregelmäßige Kringel, im Oval der Schriftzug “mon ile”. Das ist Ilkas Insel, eine künstliche Insel, eine Kunstinsel, Rückzugsort, Traumvorstellung, Sehnsuchtsmotiv, Insel der Einsamkeit, Insel der Liebe, ihre ständige Begleiterin.

“maintenant ou jamais” steht wie eine Fatamorgana am Horizont zwischen Himmel und Meer, eingefasst von kurzen Linien und Bildmotiven. Offenbar soll ihr Entkommen, in welche Richtung auch immer, verhindert werden. Das Schriftbild allerdings ist unscharf, unklar. Ist es bereits in Auflösung begriffen? Sollte eine Entscheidung bald getroffen werden? Assoziationen, Symbole, Metaphern, bruchstückhaftes, auf das Essenzielle reduziertes Bild- und Textmaterial sind die künstlerischen Instrumente von Ilka Vogler. Virtuos setzt sie diese ein. Mit ihren Werken schenkt sie uns ihr Inventar für unsere eigenen Gedanken- und Bildwelten. Diese großzügige Geste sollten wir unbefangen und unvoreingenommen annehmen. Vom Zugewinn an Kreativität, Phantasie, Offenheit und Ideenreichtum bin ich überzeugt. Lassen Sie sich auf die Künstlerin ein, nutzten Sie das Potenzial ihrer Kunst für Ihren persönlichen Weg. Das wünsche ich Ihnen heute abend und allen künftigen aufmerksamen Besuchern dieser Ausstellung. “maintenant ou jamais”.

Hamburg, Oktober 2004